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Mittwoch, 25. Oktober 2017

Gammelschlingen

Sie sind berühmt und eigentlich noch viel mehr berüchtigt: die Sanduhrschlingen an den Wendenstöcken. In der frühen Erschliessungsgeschichte scheuten die Erstbegeher keinen Aufwand, um eine natürliche Sanduhr auszugraben oder setzten gleich den Bohrer an, um den fehlenden Durchbruch künstlich zu schaffen. All diesen Sicherungspunkten ist gemein, dass man zwingend auf die fix montierten Schlingen angewiesen ist. Sofern man beim Klettern (wie üblich) nur gerade eine Hand frei hat, ist kaum für Ersatz zu sorgen. So kommt es denn immer wieder vor, dass man den nächsten Runout über einer zumindest verblichen-spröden Schlinge angeht, sofern sie nicht bereits schon zerfetzt und zu einzelnen Fäden aufgelöst ist. Gerade letzthin hatte ich im Torwächter (hier der Bericht) einige fixe Schlingen ersetzt und die alten selbstverständlich nach Hause genommen.

Von den Wendenstöcken mitgenommene Gammelschlinge. Aber sie ward nicht kaputtzustürzen...
Nun wollte ich im Klettergarten prüfen, ob diese einer Sturzbelastung noch gewachsen sind. Die erste Schwierigkeit bestand bereits darin, die Schlinge wieder zu Knoten. Das Textil ist dermassen steif und spröde, dass sich der Knoten augenscheinlich gar nicht richtig anziehen lässt. Die einzige Möglichkeit zur Verbindung war übrigens der Bandschlingenknoten, alles andere wäre illusorisch gewesen. So montierte ich das gute Stück dann im Klettergarten, mit einer etwas längeren Schlinge hintersichert. Von so weit darüber wie ich mich eben traute und es mir nicht ein unnötiges Risiko schien (Füsse ca. 1-1.5m über dem Haken) schepperte ich dann 5x hintereinander mit vollem Karacho in die Schlinge - es tat sich einfach rein gar nichts. Der Mantel von diesem ~10mm dicken, alten Kletterseil war zwar inzwischen auf längerer Strecke komplett zerstört, die Kernfäden waren aber alle intakt. Ich hätte wohl noch einen ganzen Nachmittag lang in die Schlinge stürzen können und sie wäre nicht zerrissen. Fazit: aus einer einzelnen Beobachtung allgemeine Schlüsse zu ziehen, ist immer schwierig. Es scheint mir aber, dass die alten Gammelschlingen doch widerstandsfähiger sind, wie ich befürchtet hatte. Ob ich deswegen den nächsten Wenden-Runout nun mit einem viel besseren Gefühl in der Magengrube angehen werde?!? Hmm, da bin ich dann doch nicht so sicher...

Dienstag, 17. Oktober 2017

Wendenstöcke - Zahir (8b+)

Zahir, die schwierigste Route an den Wendenstöcken! Mit unglaublichem Schwung pfeift die Linie am blau-gelb-grau gestreiften Fels über rund 300m fast konstant überhängend in die Höhe. Die Erstbegehung ist das Meisterwerk vom 2012 in einer Lawine tödlich verunglückten Günther Habersatter. Er selbst hatte die Linie nach dem Tod seiner Partnerin auf dem Wendenzustieg in Angriff genommen, über 8 Jahre in unzähligen Besuchen erschlossen und schliesslich befreit. So steht's im ausführlichen und sehr lesenswerten Journal, das bei der Steifrou, im Zustieg rund 20 Minuten oberhalb der Wendenalp, deponiert ist. Viele erfolgreiche Rotpunkt-Wiederholungen hat die Route bisher nicht gesehen. Soweit man weiss, waren es nur die Deutschen Jörg Andreas und Felix Neumärker mit der (eher unsinnigen) Variante Zahir Plus (8c), die beiden Pou-Brothers sowie der lokale Strongman Jonas Schild. Nun denn, aus sicherer Quelle hatten wir die "relative Machbarkeit" der Linie bestätigt bekommen und somit gab es für meinen Seilpartner Dani diesen Herbst das vorrangige Ziel, sich Griffe, Hakenabstände und Schwierigkeiten der Zahir selber einmal vor Augen zu führen. Ich freute mich sehr darüber, dabei mit von der Partie sein zu können. Insbesondere war ich auch auf den Vergleich zum Rätikon-Klassiker Silbergeier (8b+) gespannt, welchen wir bereits früher im Jahr angetestet hatten.

Morgenstund hat Gold im Mund. Erstes Licht an den Wendenstöcken an einem grandiosen Herbsttag.
Unsere Tour startete um 7.50 Uhr auf der Wendenalp, der Parkplatz war voll gefüllt. Es schien mir, als ob sich diejenige Hälfte der Kletterwelt, welche sich zur Zeit nicht gerade im Yosemite Valley tummelt, sich an den Wendenstöcken besammelt hätte. Auf bestens bekanntem Pfad ging's in die Höhe, viele andere Seilschaften waren vor, mit oder nach uns unterwegs. Wir hofften, dass keine davon auch die Zahir als Ziel ausgewählt hatte - das wäre bei deren Begehungsfrequenz nun wirklich ein blöder Zufall gewesen. Als wir nach 70 Minuten am Einstieg angelangt waren, stellten wir erleichtert fest, dass wir die Route für uns alleine hatten. Dass dies selbst in anspruchsvollen Wendenrouten heutzutage nicht mehr zwingend der Fall ist, zeigte sich anhand der Jednicka (7c) gleich nebenan, wo gleich 3 Teams ihre Aufwartung machten. Wie auch immer, der Einstieg der Zahir befindet sich unterhalb vom steilsten und kompaktesten Stück Wand, jener mit den grau-gelben Streifen. Er ist durch einen einzelnen BH mit kleiner Öse gekennzeichnet, sonst aber nicht näher markiert. Nach einem Vesper und letzten Vorbereitungen ging es um 9.20 Uhr los.

Ein unglaubliches, ja hammermässiges Foto, aufgenommen von Dani F. aus der Strada del Sole. Die Zahir verläuft ziemlich genau im Profil der Felswand. Die kompromiss- und absatzlose Steilheit der Wand wird einem hier so richtig bewusst. Wer reinzoomt, erkennt den Autor am Stand nach L1 (am linken Rand des breiten gelben Streifens, nahe an dessen unterem Ende). 
L1, 35m, 6c+: Zwar sind Bohrhaken nur in weiter Ferne zu erspähen, trotzdem wollte ich hier den Vorstieg wagen. Die ersten Meter sind noch nicht so schwierig, den ersten Bolt gilt es dann allerdings auf 12-15m Höhe schon reichlich engagiert im plattigen Gelände nahezu grifflos anzuschleichen, heikel! Nochmals weit zum Zweiten, unmittelbar nach dem Dritten folgt die heftige, plattige Crux. Für meinen Begriff war das schon knapp an der Haftgrenze. Schliesslich folgt noch ein vierter Bolt, natürlich gibt's kurz darauf nochmals eine schwierige Stelle über den Wulst hinweg.

In Bezug auf die Zahir ist L1 (6c+) noch eine easy Zustiegslänge. Auf absoluter Skala haben wir es hier jedoch schon mit einem Wendenknaller erster Güte zu tun. Der Fels ist vorzüglich, die Steilplatte stellenweise schon richtig knifflig und die Absicherung eher spärlich.
Das ist die Gegenperspektive mit dem Blick nach oben. Die Route führt im grauen Streifen oberhalb vom Kletterer weiter.
L2, 40m, 8a+: Während die erste Länge noch plattig-geneigt ist, wartet hier nun absolut kompromissloses Steilgelände. Schon zum zweiten Bolt hin wartete eine zwingende, schwierige Stelle, wo man an einem üblen Sloper auf den Klippgriff verlängern muss. Danach geht's über die nächsten 25m erstaunlich "moderat" dahin. Immer mal wieder tauchen recht gute Griffe auf und die ganz verzweifelt schwierigen Stellen fehlen. Dieser Abschnitt ist ca. 7c, affengeile Klimmerei! Die Schlacht ist damit aber nicht gewonnen, die vergleichsweise relativ eng gesicherte, dafür reichlich trittarme Crux an ein paar durchschnittlichen Seit-/Untergriffen erfordert dann herzhaftes Zupacken. Schliesslich bedient man im Ausstieg in etwas flacheres Gelände noch ein paar rasiermesserscharfe, winzige Tropflochcrimps, wo man aufgrund von Lage, Trittangebot und den verbleibenden Kräften nicht ewig Zeit zum Einsortieren hat. Insgesamt ein unglaubliches Gerät, diese Länge!

Das richtig zähe Finish von L2 (8a+) bietet harte Blockierzüge an fetzenscharfem Fels. Ohne zu übertreiben habe ich noch nie dermassen kleine und rasiermesserartige Tropflochstrukturen gekrallt. Wer anreist, sollte genügend und solide gewachsene Haut mitbringen.
L3, 20m, 8b+: Die gleichförmige Wand der dritten Seillänge sieht grob senkrecht aus, aber es täuscht. Sie hängt auf ihren 20m doch etwa 1m über. Die Griffe sind aber da, allesamt kleine bis kleinste scharfe Crimper und ein paar Leisten, die man auf Schulter nimmt. Vom ersten Move an heisst's knallhart zudübeln, einen Rastpunkt gibt's keinen und die Schwierigkeiten sind anhaltend, wenn auch die zweite Hälfte eher einen Tick leichter ist. Erwähnt sei, dass die Felsqualität auf dieser Länge nicht allerbest ist - teils muss man auch befürchten, dass einige der Strukturen beim heftigen Zerren daran ausbrechen könnten. Die letzten Meter können früh im Jahr oder nach Niederschlagsperioden wegen einem Siffloch auch feucht sein. Der Stand nach dieser Länge ist zwar an einem relativ logischen und im Gesamtkonzept auch sinnvollen Ort. Es ist jedoch ein sackunbequemer Hängestand, weit abseits von einer natürlichen Ruheposition. Allerdings sind es von diesem Punkt aus auch weitere 40 Meter, bis eine solche folgt. 

Das ist am Ende von unserer L3 (8c), d.h. wir sind de fakto sogar die Zahir Plus geklettert. Der Hängestand am Ende der eigentlichen L3 (8b+) schien dermassen unbequem, dass wir uns lieber auf den nachträglich hinzugefügten weiter oben verlegten. Allerdings ist dieser auch nicht viel besser, sprich man hängt ohne vernünftige Füsse mitten in der Steilwand. Die im Bild sichtbaren Moves sind jene, die aus der 8b+ eine 8c machen... oder original auch einfach mit 7c bewertet - alles  eine Frage der Perspektive. Jedenfalls, auch hier ist das Gestein rattenscharf.
L4, 55m, 7c: Vom Stand weg gleich eine ziemlich kleingriffige Rechtsquerung, dann athletisch und steil über einen Wulst aufwärts. Dann erreicht man nach etwa 12m den ersten guten Griff, hier ist der nachträglich hinzugefügte Stand der Zahir Plus (8c). Allerdings befindet sich hier auch kein No-Hand-Rest und die Sache mit der Verlängerung der Cruxsequenz scheint doch reichlich gesucht. Somit darf man durchaus die Frage aufwerfen, ob die Aktion der beiden Deutschen statthaft war - an fremden Werk rumpfriemeln, einen ebenso willkürlichen Standplatz definieren und auch die Bewertungsfrage ist offen. Würde es den Grad erhöhen, wenn man nach einer 7a noch 12m im Grad 6a+ klettern müsste? Ich weiss, es ist nicht ganz direkt vergleichbar, aber vermutlich eben eher nicht. Um die Leidenszeit am Hängestand nach der 8b+ zu minimieren, bezieht Dani den Zwischenstand. Das ist aber rückblickend eher keine gute Idee. Gleich danach folgt eine harte Passage zu BH und dann (in etwas einfacherem Gelände) ein langer Runout. Ein Sturz des Vorsteigers wäre für beide Seilpartner sicher sehr unangenehm. Später folgt nochmals eine knifflige Rechtsquerung (hier nochmals 7b+/7c), während auf dem Rest dann eine grandiose Henkelparade angesagt ist (ca. 7a mit weiten Hakenabständen, der Sturzraum ist jedoch frei). 

Nochmals ein Blick auf unser Treiben in der Zahir, dieses Mal aus der Kamera von Jonas S. in der Jednicka.
L5, 35m, 7a+: Der erste Teil dieser Seillänge ist offensichtlich sehr kühn - athletisch, mit einer dachartigen Passage und richtig weiten Abständen. Man kann nur hoffen, dass es reichlich Henkel gibt. Dem ist dann glücklicherweise so. Die kräftigen Züge sind jedoch fordernd und das Anklettern von zweiten und vom dritten Haken sind heikel, da würde man sehr unangenehm stürzen. Der vierte Haken blitzt dann etwas näher, aber man freue sich nicht zu früh. Die Passage ist für den Grad von 7a+ unseres Erachtens sackschwer, direkt geklettert sowieso. Etwas links gibt's ein bisschen bessere Griffe, die allerdings teils etwas schiefrig-splittrig sind. Vertrauen und durchziehen, anders geht's nicht. Auf den letzten Metern der Länge kreuzt man dann den grossen Quergang der Jednicka. Nein, die halb zerfetzte Sanduhrschlinge hat bisher noch niemand ersetzt... auch wir nicht, an Draht und Messer haben wir leider nicht gedacht. Für die Zahir sind das aber mithin die einfachsten Meter der ganzen Route, auch wenn man gute 8-10m über den letzten Haken steigt.

Was schreibt auch der von weiten Hakenabständen am Anfang von L5 (7a+) - sieht doch alles tiptop aus! Aber ich kann garantieren, es täuscht. Die Kletterei bis zum zweiten BH ist zwar nicht sehr schwierig (ca. 6c), aber die 15m bis dahin sind echt fordernd und ein Sturz ist nicht anzuraten.
L6, 35m, 7b: Aus dem Stand raus gleich steil an den ortstypischen, sloprigen Suppenschüsseln und kräftig über ein nächstes Bäuchlein hinweg (ca. 7a/7a+). Darüber etabliert, folgt etwas einfacheres Gelände wo man eine Zeit lang einer nicht so soliden Schuppe folgt. Sich auf dieser zu etablieren und die paar folgenden Meter muss man dann sogar als brüchig bezeichnen. Zu doof, dass sich genau zum Zeitpunkt wo ich da klettere, die Seilschaften aus der Jednicka am Einstieg aufhalten - mit viel Gottvertrauen direkt in Schusslinie. Nun also nicht nur im Eigen-, sondern auch im Fremdinteresse keine Griffe ausreissen. Die Abschlusswand dieser Länge bietet dann die Crux mit einer kniffligen Querung nach rechts. Es fehlen einfach die positiven Strukturen und so schiebt man sich prekär nach drüben. Auch wenn hier der Hakenabstand nicht gross ist, so ist's für den Vorsteiger doch unangenehm - es besteht keine Sichtverbindung mehr zur Sicherungsperson und ein Sturz aufs flachere Gelände darunter scheint heikel.

"Gsesch d'Abdrück i mine Finger?" Der scharfe Fels beisst so richtig in die Haut, dass es nachher eine Weile lang sichtbar bleibt. Insgesamt ist die Haut durchaus ein Faktor bei einem Gesamtdurchstieg der Route. Bei mir wurde sie im Verlauf der Zeit schon sicht- und spürbar dünner. Dann krallt man einfach nicht mehr gleich heftig in die Tropflöcher und alles fühlt sich schwieriger an.
L7, 30m, 7b+: Der Beginn dieser Länge ist nochmals richtig knackig. Erst ein paar etwas fragil wirkende Leisten und schlechte Tritte, dann eine stark überhängende Zone. Oberhalb dieser warten nur abschüssige Sloper, man muss heikel klippen und sehr fordernd manteln, uff! Die Wand danach ist auf den ersten Metern auch nochmals zäh, danach geht's dann leichter und gutgriffig einem Riss entlang aufwärts - die Bolts stecken etwas gesucht links draussen aber vom Riss klippbar im Steilgelände, das hier sicher niemand mehr klettern will. Der Anfang der Länge könnte aber beim Versuch einer Komplett-RP noch ein übler Showstopper sein. Wer schon angezählt ist, dürfte es dort schwer haben.

L8, 20m, 6c: Im ersten Topo zur Zahir stand hier im Topo Fb 6A bloc. Für mich ist das nicht nachvollziehbar. Im Nachstieg bliebt mir aufgrund der Seilführung nichts anderes übrig, als beim (einzigen) Zwischenhaken gerade nach oben zu steigen. Dann besteht die Schwierigkeit tatsächlich in einer boulderartigen Passage, welche aber dann eher bei Fb 7A (ca. 7bc in Routenbewertung) anzusiedeln ist. Für den Vorsteiger ist das kaum eine Option, ein Sturz ins flache Gelände darunter böte hohe Fussbruch-Gefahr. Somit quert also der Vorsteiger deutlich (ca. 7-8m) nach links, um an offensichtlicher Stelle den Abschlusswulst ins brüchige Schrofengelände zu meistern. Das ist von der Absicherung her genauso heikel (d.h. man darf nicht stürzen), aber halt eben deutlich einfacher (6c passt). Zuletzt dann in losem Gelände wieder stark rechtshaltend hinauf zur Kette, welche im gefühlt letzten, soliden Stück Fels steckt. 

Zwischendurch schlichen sich bereits einmal Zweifel ein, ob es noch bis ganz nach oben reichen würde. Es war einfach noch so viel steile Wand übrig, bei gleichzeitig schwindenden Kraftreserven und auch hell würde es nicht mehr ewig bleiben. Bin ich froh, dass wir trotzdem dran geblieben sind!
Um 17.50 Uhr und damit nach 8:30 Stunden harten Kampfes hatten wir den Ausstieg der Zahir erreicht. Das Punktekonto war dabei nur sehr bescheiden gefüllt worden, nur gerade die erste Seillänge gelang in sauberem Stil, alle anderen Längen hatten uns jeweils beide kompromisslos abgewiesen. Klar, die oberen Seillängen sind schon etwas einfacher und in einem Grad, wo man normalerweise auch auf Anhieb durchkommen könnte - nur hat man hier eben schon 8a+, 8b+ und 7c in den Armen, die Kletterei ist unübersichtlich und die Absicherung zwingt einem auch eher defensives Verhalten anstelle von totalem Angriff auf. Somit lässt sich die lange Begehungszeit sicherlich nachvollziehen. Ein weiterer Zeitfaktor sind die durchgehend sehr unbequemen Standplätze. Bis auf jenen nach L3 kann man zwar in der Kletterstellung überall die Hände vom Fels lösen, bequem stehen oder gar sitzen ist jedoch nirgends möglich. Ebenso gibt's null Ablagefläche, dementsprechend zeitraubend ist die Organisation mit Haulbag, Verpflegung, Material undsoweiter. Aber egal, was an diesem Tag zählte waren weder Zeit noch die roten Punkte, sondern einfach bis zum Top der Wand geklettert zu sein. 

Die Abseilerei in der permanent überhängenden Wand ist dann nochmals ein Erlebnis für sich. Die Standplätze müssen alle angependelt werden, Fehler im Seilhandling beim Abseilen würden schonungslos bestraft. Also gilt es, schön konzentriert zu bleiben!
Zumal uns absolutes Traumwetter vergönnt war. Angenehme Temperaturen bei stahlblauem Himmel und klarem Sonnenschein, warm aber nicht lähmend heiss mit einem leichten Luftzug, ideal. Als wir beim Ausstieg waren, bog die Sonne schliesslich um die Ecke, ein untrügliches Zeichen, dass nicht mehr allzu viel Tageslicht übrig blieb. Auf uns wartete noch die Abseilfahrt, welche hier doch auch ziemlich aufregend ist. Die Seile baumeln nämlich immer in der Leere, ohne zu pendeln läuft hier gar nichts. Die meisten Standplätze liegen jedoch ziemlich direkt in Falllinie. Nur derjenige nach L4 (7c) ist schwierig zu erreichen. Heftig pendelnd muss man sich auf Höhe des Standes einen guten Griff schnappen, um dann kletternd 10m nach rechts zu queren - nicht allzu schwierig, aber wenn's nicht gelingt ist ein gewaltiger (wenn auch harmloser) Pendler garantiert. Um 18.30 Uhr waren wir wieder am Boden. Weil das Licht nun doch rapide am Schwinden war, machten wir uns umgehend auf die Socken, um die Steilschrofen im oberen Teil noch mit guter (Weit-)Sicht zu meistern. Das gelang, erst für die letzten Höhenmeter auf dem insgesamt 50 Minuten dauernden Abstieg retour zum Parkplatz kam dann die Stirnlampe noch zum Einsatz. Ein Blick aufs Smartphone zeigte, dass auf den Strassen Richtung zuhause noch reichlich Verstopfung herrschte. So konnten wir mit Fug und Recht noch bei einer Pizza auf den Erfolg anstossen und den Tag in Revue passieren lassen. Scharf, schärfer, Zahir, so fasst man den Tag in wenigen Worten zusammen.

Facts

Wendenstöcke - Zahir 8b+ (7c obl.) - 8 SL, 270m - Habersatter/Wolf 1996-2004 - *****;xxx
Material: 2x60m-Seile, 12 Express

Die schwierigste Route an den Wendenstöcken, das will etwas heissen! Die Kletterei in der Zahir ist bis auf die plattige, erste Seillänge konstant überhängend und athletisch. Meist klettert man an scharfen bis sehr scharfen Tropflochstrukturen mit Grössen von mikroklein bis vernünftig. Die Felsqualität ist über weite Strecken exzellent - aufgrund der bisher wenigen Begehungen brechen da und dort jedoch noch Brösel und kleine Spitzen, was sich manchmal etwas unangenehm anfühlt. Hier und da fühlen sich gewisse Strukturen ein bisschen fragil an, oben muss man den Fels an zwei, drei kurzen Stellen sogar als etwas brüchig bezeichnen (ja, tatsächlich, das gibt's an den Wenden). Alles in allem reicht's mit Nimbus, Linie, Position und der anhaltenden Kletterei aber trotzdem für fünf Sterne, Prädikat Weltklasse. Die Absicherung mit Bohrhaken ist bei Schwierigkeiten von 7a und darüber gut (xxx), die allerschwersten Stellen ab 7c aufwärts sind nahezu sportklettermässig gebohrt (xxxx). Im (selten auftretenden) einfacheren Gelände sind die Abstände weit bis sehr weit (xx), stürzen wäre dort definitiv keine gute Idee. Einige (jedoch nicht alle) dieser Stellen könnten eventuell mit Keilen oder kleinen bis mittleren Cams noch etwas entschärft werden. Zuletzt noch eine Einschätzung der Schwierigkeiten: ich habe hier die Angaben aus einem Online-Topo übernommen, sie sind auf diese Weise auch im Führer Klettern in der Schweiz von Matteo della Bordella (der die Route selber geklettert hat) so angegeben. Im Extrem West stehen z.T. etwas tiefere Einstufungen, die uns jedoch weniger treffend schienen. 

Originales Topo der Erstbegeher, durch Daniel B. mit den Sicherungssymbolen versehen.
Meine persönliche Wahrnehmung war, dass die Zahir gegenüber dem Silbergeier doch einiges zugänglicher ist. Die Kletterei im Silbergeier ist dermassen anhaltend technisch und diffizil, dass der Anspruch in Bezug auf Balance, Koordination und der nötigen Bewegungspräzision mein Niveau übersteigt. Eine Rotpunkt-Begehung vom Silbergeier für mich - not in this lifetime. Logo, auch die Zahir ist ein hartes Brett. Hier fühlen sich für mich jedoch nur etwa 5m in L2 und so ziemlich die gesamten 20m von L3 als am oder über dem Limit an. Doch auch dort hat es Griffe - natürlich ziemlich kleine und bei mageren Trittangebot, aber mit genügend Strom lassen sich die durchaus riegeln. Mit viel Kraft kommt man in der Zahir bestimmt viel weiter, bzw. die Route ist sicherlich deutlich besser trainierbar. Umso erstaunlicher, dass die Anzahl der erfolgreichen Begeher im Vergleich zum Silbergeier so viel kleiner ist. Irgendwie würde es mich ja schon sehr reizen, in einer solchen Linie einmal richtig zu investieren und zu sehen, was möglich ist. Andererseits ist ein solches Projekt natürlich auch eine völlige Verrücktheit - wenn, dann wären sicher die Ben Hur oder das Elefantenohr vernünftigere Ziele.

Freitag, 13. Oktober 2017

Schweiz plaisir JURA 2017

Diese Woche steckte er frisch ab Presse im Briefkasten - der nach dem extrem JURA zweite, noch fehlende Kletterführer aus dem Filidor-Verlag für die Flühe, Grätli und Platten im Nordwesten der Schweiz. Die letzte Auflage des plaisir JURA datierte aus dem Jahr 2008, auch schon wieder ein Weilchen her. Seit da gibt's selbst im bereits bestens ausgekundschafteten Jura noch diverse Neuheiten oder Neuentdeckungen, dazu wie immer sanierte Gebiete, neue Parkplätze oder aktualisierte Hinweise in Sachen Naturschutz. Somit ohne Zweifel ein Führer, den es sich zu kaufen lohnt!

plaisir JURA und extrem JURA, beide topaktuell aus dem Jahr 2017.
Wie man es sich vom Autor Sandro von Känel gewohnt ist, glänzt das im handlichen Kleinformat erschienene Büchlein durch Übersichtlichkeit, Klarheit und sehr ansprechende Gestaltung. Es ist schon ein Meisterwerk, wie man alle nötigen Infos ohne viel Text und Raum darstellen kann - und doch ist alles vorhanden, was es braucht und gut lesbar ist es obendrein! Gegenüber der letzten Auflage ist die Anzahl Gebiete von 62 auf 67 angestiegen. Neu gibt's auch für jede Region eine Übersichtstabelle zur jahreszeitlichen Eignung der Gebiete und deren Kindertauglichkeit - eine vorbildliche Sache. Eine weitere Neuerung für einen Filidor-Führer stellt die Zusammenarbeit mit Vertical Life dar. Im Buch ist ein Code enthalten, mit welchem man alle Jura-Gebiete in der Vertical Life App auf dem Smartphone freischalten kann. Ist das die Zukunft der Kletterführer?!? Ich bin nicht sicher. Einen sauber recherchierten und ansprechend gestalteten auf Papier gedruckten Führer in der Hand zu halten, macht einfach Freude - da gibt eine App definitiv nicht dasselbe Gefühl. Zumal für mich bei der elektronischen Version einfach immer ein Rest von Unübersichtlichkeit vorhanden ist.

Gebietsübersicht aus dem plaisir JURA, oben rechts der noch verborgene Code für die Vertical Life App.
Dieser Beitrag wäre nicht komplett, wenn ich nicht auch noch einen kritischen Punkt anbringen würde. Gut, im vorliegenden Fall ist das aufgrund der sehr hohen Qualität nun wirklich nicht ganz einfach. Gewisse Schwierigkeiten bringt die Trennung des Jura-Führers in Extrem und Plaisir mit sich. So sind etliche Gebiete absolut korrekterweise in beiden Werken beschrieben, jeweils mit dem Fokus auf die schwierigeren oder einfacheren Touren (z.B. Pelzli, Falkenflue, Eptingen). Andere sind nur in einem der beiden Führer enthalten, so z.B. das Hombergflüeli im Plaisir und die Muggenberg-Grotte im Extrem. Soweit ebenfalls alles perfekt, gibt's doch im  einen Gebiet nix über 6b und im anderen nix unter 7c. Doch es gibt halt auch Grenzfälle. So ist der Klettergarten in Vingelz nur im Plaisir aufgeführt, obwohl er auch dem Hardmover einiges zu bieten vermag. Andersrum ist der Chuenisberg im Basler Jura ein Gebiet, das nur im Extrem figuriert, obwohl es dort durchaus auch lohnende Routen im Plaisirbereich gibt. Insgesamt finde ich die Gebietsauswahl für beide Führer aber absolut in Ordnung. Das von mir erwähnte Dilemma hätte man nur lösen können, indem man beide Werke in einem einzigen, dicken, teuren und unhandlichen Führer vereint hätte. Eine andere Alternative wäre eine regionale Trennung in Südost- und Nordwest-Teil gewesen,  was aber noch gewichtigere Nachteile mit sich gebracht hätte. Mir verbleibt, an dieser Stelle Sandro von Känel herzlich für seinen immensen Einsatz zu danken. Klettern ohne gute Topos wäre deutlich erschwert und würde nicht halb so viel Spass machen! Weitere Infos zum plaisir JURA hier!