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Dienstag, 6. Juni 2017

The Real Deal!

"No big deal", so pflegt Alex Honnold jeweils seine Aktionen zu umschreiben. Understatement pur, dies insbesondere natürlich für die Solo-Begehung von Freerider (~30 SL, ~7c+) am El Capitan im Yosemite National Park. Die Social Media wurden durch Berichte dieser Begehung regelrecht überflutet, ja sogar in den Mainstream-Medien war davon zu lesen. Warum braucht's hier einen weiteren Bericht dazu?

Obwohl ich persönlich absolut keinerlei Ambitionen in Bezug aufs Soloklettern habe, kann ich mich der Faszination dieser Aktion einfach nicht entziehen. Warum? Jeder Kletterer weiss und spürt, welch grossen Unterschied es bereits macht, ob man einen schwierigen Move mit dem Bohrhaken am Bauchnabel ausführt, oder ob die letzte Sicherung bereits schon unter den Füssen entschwunden ist. Und da kommt nun (im Falle von Alex Honnold natürlich nicht ganz überraschend) einer, der Sturzangst und Konsequenzen offenbar selbst ungesichert komplett ausblenden kann. Sein Statement dazu lautet ja ganz lakonisch "being fearful does not help my in any way up there, so I just zoom it out". Wenn das nur so einfach wäre... Somit scheint mir die Solo-Begehung vom Freerider eben doch für jeden Kletterer relevant. Selbst ganz normal am Seil dreht sich im Grenzbereich der persönlichen Möglichkeiten viel darum, seine Nerven und (irrationalen) Ängste im Griff zu haben, um gut zu performen.

The Big Stone. 12 Jahre ist es her, seit ich das letzte Mal vor Ort war. Viel zu lange...
In den Kommentarspalten liest man natürlich wieder die üblichen Statements über Adrenalin-Junkies, selbstmörderische Absichten und es wird die Frage aufgeworfen, was diese Aktion der Menschheit bringe. Was zwar grundsätzlich eine dumme Frage ist, aber wenn man sich genau in die Sache hineindenken kann, dann meines Erachtens eigentlich sogar sehr viel. Wie viel besser wären wir, bzw. was könnten wir alles Erreichen, wenn wir im entscheidenden Moment frei von Versagensängsten handeln würden, völlig rational entscheiden könnten, usw.. So viel läge drin, das Leben von jedem einzelnen Menschen könnte bereichert werden. Vermutlich lässt es sich sogar ausdehnen auf die Menschheit als Gesamtes. Wäre es allen möglich, so befreit und zielgerichtet zu handeln und nicht auf Gedeih und Verderb zu klammern, so ginge es bestimmt dem ganzen Planeten viel besser. In diesem Sinne finde ich die Aktion eben sehr inspirierend. Selbst unter dem höchstmöglichen Einsatz von Leib und Leben und wenn's mehr denn je darauf ankommt, kann Alex Honnold beim Klettern wie Figura zeigt ungehemmt die volle Leistung bringen.

Der Fels im Yosemite Valley ist vielerorts ausgesprochen glatt und trittarm. An diese sehr spezielle Art der Kletterei braucht es unweigerlich etwas Gewöhnung. Kommt noch hinzu, dass man meist an Rissen klettert, für uns Alpen-Kalkkletterer höchst ungewöhnlich. Schon manch einer ist auf die Welt gekommen, wenn es ums Übersetzen der Schwierigkeitsgrade ging.
In einem zweiten Teil möchte ich noch ein wenig versuchen, die Anforderungen im Freerider zu erklären. Soviel vorweg, ich kenne die Route bis auf die erste Seillänge, welche ich früher einmal als Baseclimb begangen habe, leider (noch) nicht aus eigener Erfahrung. Doch es ist schon ein heimlicher Traum von mir, diesem Stück Fels in einem Vertical Camping Trip eine freie Begehung abzuknöpfen. Vielleicht, wenn die Kinder grösser sind? Ob der Freerider für mich als Rotpunkt-Projekt realistisch ist, bleibe dahingestellt, notfalls wäre ich sicher auch einfach damit zufrieden, unten einzusteigen und oben anzukommen. Somit erstaunt es vermutlich nicht, dass ich mich schon relativ eingehend mit dem Freerider befasst habe und zumindest einige Second-Hand-Infos zuverlässig wiedergeben kann. Soweit mir bekannt ist, gibt es vom Freerider bisher trotz zahlreicher namhafter Versuche nach wie vor keine lupenreine Onsight-Begehung - das sagt ja schon einiges über die Anforderungen aus!

Während die Schwierigkeiten in den unteren Seillängen vor allem in einigen heiklen, irre glatten, grifflosen Plattenpassagen um ~7a liegen, stellen sich weiter oben Risse aller Grössen und Breiten in den Weg. Wobei der berüchtigte und gefürchtete Monster-Offwidth (ein langer, 10-15cm breiter Riss in Grössenklasse Camalot 6 und Bewertung 5.11+, d.h. ~7a) für einen Mann von Honnolds Kaliber jedoch kein Problem sei: "you cannot fall off this thing". Anders sieht's hingegen in der nominellen Schlüsselpassage aus, der sogenannten Huber-Pitch. Seit Griffausbrüchen wartet dort ein harter, knifflig-unsicherer Boulder im 7B-Bereich mit einem Ninja-Kick-Finish, übersetzt auf die französische Routenskala wohl so etwas im Bereich von 7c+ (siehe ab 2:40 im Video, so etwas im Free Solo, wow!). Die zweite Hauptschwierigkeit besteht aus den Enduro-Corner-Risslängen unter dem Salathé-Roof. Diese sind im Solo ohne das Nutzen der Hängestände durchzumoven und bieten so arschglatte Piazkletterei um 5.12+, d.h. ~7c. Siehe ab 5:30 im Video, wem der Hintern nur schon beim Gedanke an eine Solo-Begehung von so etwas mit 800m Luft unter den Füssen nicht auf Grundeis geht, der hat wohl echt Nerven aus Stahl.



Zuletzt, was oft auch gefragt wird: wie gross sind die Risiken einer solchen Begehung und was sind die hauptsächlichen Gefahren? Ersteres lässt sich kaum beantworten, über Zweiteres kann man schon spekulieren. Die Hauptgefahr besteht ganz sicher darin, aus dem Konzept zu geraten und plötzlich einen anderen Blick auf die eigentlich absolut beschissene Lage zu erhalten. Wenn man zu Krampfen beginnt, so sind solche Längen wie das Boulderproblem der Huber Pitch nicht mehr zu machen. Während viele Störfaktoren (Wetter, Griffausbruch, Erinnern der Sequenz, Fitness, ...) durch entsprechende Vorbereitung nahezu ausgeschlossen werden können, so verbleiben doch einige unabwägbaren Gefahren - am höchsten wohl jene, in einen in einem Riss versteckten Frosch, Vogel, Nager oder Schlange zu greifen, bzw. davon erschreckt zu werden. Wie auch immer, schliessen wir diesen Beitrag mit dem Wunsch, dass Alex Honnold ein möglichst langer Genuss seiner Aktivitäten vergönnt sei und widmen wir uns weiter dem Spiel Rotpunkt-Klettern. Dabei geht's ja eigentlich genau darum, die Route so zu meistern, dass man sie theoretisch auch Free Solo überlebt hätte. Dass zwischen Theorie und Praxis Welten liegen, ist klar - für Leute wie mich ist profanes Rotpunkt-Klettern am Seil aber trotzdem ein höchst faszinierender Zeitvertrieb.

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