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Dienstag, 2. Dezember 2014

Wer ist verantwortlich?

Auf dem Internet wird auf meinen letzten Post hin die Frage aufgeworfen: "Warum? Warum nur habt ihr nichts gemacht, wenn euch die Gefahr bekannt war?". Ich habe Verständnis für die Frage und kann den Schmerz von Familie, Angehörigen und Beteiligten verstehen, wie auch den Wunsch, das Rad der Zeit zurückdrehen zu können, den Unfall ungeschehen zu machen, ja vielleicht sogar einen Verantwortlichen dafür zu finden. Hier der Versuch einer Antwort.

An deren Basis steht die Tatsache, dass beim Klettern letztendlich jeder für seine eigene Sicherheit verantwortlich ist und seine eigenen Entscheidungen treffen muss. Mein Kollege hat diesen Umlenker für sich als unsicher beurteilt und ihn nicht benutzt, ich habe an mehreren anderen Orten wie z.B. in Tartareu schon gleiches getan, und dies dann sogar auf meinem Blog so beschrieben. Ebenso habe ich schon an zahlreichen Stellen aufs Weiterklettern oder Einsteigen in Routen verzichtet, weil sie mir (!!!) mit zu altem Material eingerichtet erschienen oder aus sonstigen Gründen zu gefährlich waren. Aber deswegen diese Touren gleich zu sperren, umzubohren oder auszunageln, das ist einfach komplett unrealistisch. Zumal meine Meinung, mein Empfinden, mein Können und mein Wissen ja nicht sakrosankt sind, wer hat schon den Röntgenblick wie viel ein Haken tatsächlich hält?

Weiterklettern? Heimgehen? Sanieren? Ignorieren?
Wenn ich mein Empfinden zum Massstab nehmen würde, so gäbe es sogar ganze Sektoren, wo man die Haken entfernen müsste. Ein Beispiel ist der wohlbekannte Sektor Emisfero im Val Pennavaire (Oltrefinale). Nach meinem Geschmack ist der Fels dort grossflächig hohl, sprich zu wenig solide um darin zuverlässige Bohrhaken zu setzen. Meine (!!!) Konsequenz ist es, dass ich an dieser Wand nicht klettere, Punkt. So ist es beim Klettern und so soll es meines Erachtens auch bleiben. Es gibt keine Regeln, Schilder und Normen und niemand der die Verantwortung für unser Tun und Lassen übernimmt, ausser wir selber. Es geht gar nicht anders, denn da draussen haben Wind, Wetter, Regen, Schnee und Eis ihren Einfluss, der Zahn der Zeit nagt an allem. Und wo wäre dann die Grenze, wenn wir Verantwortung für die anderen übernehmen müssen? Darf ich, ja muss ich vor dem hoch steckenden ersten Haken in einer Tour im Frankenjura einen zusätzlichen setzen, wenn ich die Gefahr erkannt habe, dass da jemand auf die Blöcke am Einstieg stürzen und sich schwer verletzen könnte? Gebe ich in L3 vom Batman an den Wendenstöcken einen zusätzlichen BH, weil ich gesehen habe, dass dort das Seil bei einem Sturz über eine scharfe Kante läuft und womöglich durchtrennt wird? Soll ich den Runout in der Crux der Blauen Lagune (Wendenstöcke) entschärfen, weil sich da schon viele den Fuss gebrochen haben und der nächste der noch etwas unglücklicher stürzt sich vielleicht ein Schädel-Hirn-Trauma zuzieht? 

Bei der Begehung der Blauen Lagune, dort leider kein unübliches Szenario.
Gemäss der geltenden Kletterethik werden all diese Fragen mit einem klaren Nein beantwortet. Der Preis, den wir dafür zahlen sind Unfälle von möglicherweise fatalem Ausgang, welche bei anderer Absicherung oder einer Sanierung zu verhindern gewesen wären. Andererseits, 100% Sicherheit kann und wird es beim Klettern nie geben – wer sicher und unfallfrei unterwegs sein will, braucht Umsicht, Wissen, Können, Demut und auch das Glück, nicht zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Doch selbst für vorsichtig agierende Könner verbleibt stets ein Restrisiko, umso bitterer ist die Stunde, wenn es zuschlägt. Zuletzt, was mich selber betrifft: ja, ich saniere hin und wieder Routen und ersetze Haken. Ja, ich versuche meine Neuerschliessungen nach bestem Wissen und Gewissen mit hochwertigem Material gut und sicher auszurüsten und ja, ich teile meine Wahrnehmung von Gefahren durch meinen Blog mit euch Kletterern. Wer aufmerksam mitliest, wird viele aus meiner Sicht nützliche und potenziell sogar lebensrettende Tipps lesen – was daraus gemacht wird, bleibt aber jedem einzelnen selber überlassen.

Bitte denkt an Stefan und seine Familie, der Spendenaufruf befindet sich hier!

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