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Dienstag, 18. Oktober 2011

Wendenstöcke – Ab ins Altersheim

Nein, es gibt an den Wenden keine Route, die so heisst - nur fast, nämlich „AHV“. Der Blog-Titel ist aber trotzdem völlig korrekt gesetzt. Denn in unserer geplanten Route „No Name“ am Mähren sahen wir ziemlich alt aus, und die erwähnte „AHV“ diente dann als Trostpflaster.

Vorgeschichte

Oben auf der Wunschliste war ein Besuch am Mähren schon lange. Diesen riesenhaften Berg umgibt eine gewisse Mystik, eine sagenumwobene Aura. Die meisten dort erschlossenen Touren wurden nie publiziert, und Informationen sind nur spärlich zu erhalten. Zumindest für mich. Immerhin, die „amici transalpini“ Matteo und Fabio erschlossen am Mähren nicht nur zwei harte, lange und wilde Routen, sondern lieferten auch eine Beschreibung von „Muggenstutz“. Oder von dem, was sie davon hielten (mehr dazu unten). Die tönte durchaus positiv: trotz einer zu überwindenden Schrofenzone vielfach sehr guter Fels, eine Crux in überhängender Ausdauerkletterei im Grad 7a+, der Rest im Bereich 6b/6c, mit 6b obligatorisch.

Die gewaltige Felsmauer des Mähren an den Wendenstöcken
Wie immer gestaltete sich die Partnersuche für Touren ohne Rang und Namen nicht ganz so einfach, einige Male repriorisierte ich auch meinen eigenen Wunsch dort zu klettern. Doch dann war Jonas mit von der Partie, um den Mähren zu erkunden. Dass dort viel weniger als in anderen Sektoren an den Wendenstöcken geklettert wird, zeigt sich schon dadurch, dass im Zustieg absolut keine Wegspuren vorhanden sind.

Zustieg

Bis unter die Wände geht’s allerdings mit etwas alpinem Gespür ganz gut, zwar in steilem Gras und über Schrofen, aber dennoch im grünen Bereich. Doch dann sieht die Querung nach links ins grosse Amphitheater übel wild aus, zudem hat es auch noch Schnee- und Lawinenreste. Wir eiern den Fels entlang, nützen teilweise die Randkluft und müssen auch ins Gras. Die Querung ist extrem exponiert, und ein Rutscher wäre mit Garantie das Ende. Nach der Querung steigen wir über Felsstufen, mit Stellen im 2./3. Grad, gegen das gut sichtbare Mähren-Biwak hoch.

Übles Zustiegsgelände am Mähren, man steigt im Profil auf dem Grasrücken hinten auf und quert zur Position des Fotografen.
Dort stellt sich die Frage, wo denn die Route überhaupt beginnt. Es gilt, an den markanten Turm rauszuqueren, ein Fixseil soll angeblich dabei helfen. Dieses erblicken wir nach einer Weile, doch die Querung auf einem schwach ausgeprägten Band zu dessen Beginn erscheint uns dann definitiv zu herb. Ich mache im Biwak auf Suchaktion, vielleicht haben sich ja die Erstbegeher erbarmt, wenigstens hier einige Infos zu ihren Touren zu hinterlassen.

Aber Fehlanzeige, das Biwak ist zwar gut eingerichtet mit topfebener Liegefläche, ausserdem hat es viel Kletter-, Schlaf- und Kochmaterial, aber ein Biwakbuch oder eine Toposammlung, wie es sie in den Biwaks am Excalibur und am Reissen Nollen gibt, fehlt hier. Somit bleibt uns nichts übrig, als im heikel-exponierten Kessel herumzuschnafeln und den Start der Route zu suchen.

Das Biwak am Mähren. In exponierter Position, aber bequem!
Schliesslich erblicke im am Fuss einer gut kletterbar aussehenden Wasserrillenplatte in 15m Höhe einen Bolt. Wir halten dies zwar für den Start von „Zyklopenauge“, das Topo aus dem Schweiz Extrem West suggeriert da eine erste Länge im Grad 6a, die auf ein Band hochführt. Könnte passen, und zudem ist es eine gute Möglichkeit, um auf das Band und ans Fixseil für die Querung zum Turm zu kommen.

Beschrieb von „Muggenstutz“, bzw. „No Name“

Um 11.30 Uhr klettert Jonas dann endlich los. Diese erste Länge entpuppt sich für den (vermuteten) Grad von 6a als ordentlich gutmütig. Auch recht so, sonst wären die 2 Bolts auf 50m wohl zu wenig gewesen. Vom Stand auf dem Band weg steilt sich die Wand ordentlich auf, die Bolts stecken deutlich näher – könnte also gut die zweite Länge des „Zyklopenauge“ mit dem Grad 7b sein, denken wir (allerdings falsch, siehe unten).

Jonas in SL 1 (5b). Danach Querung nach links an den Turm, und an diesem dann hoch.
Wir queren indessen, erst einfach, dann kletternd, dem in den letzten Kernlitzen hängenden Fixseil entlang, nach links. Zuletzt biegt man um die Ecke, und schlagartig hat man atemberaubende Exposition. Der Weiterweg nach oben sieht nun prima aus, steiler, griffiger Fels; und einige Bolts sind auch sichtbar. Die erste Länge am Pfeiler ist 25m kurz, vernünftig gesichert, ca. 6a+ und wirklich hübsch.

Jonas folgt in SL 3 (6a+)
Die folgende Länge sieht dann mehr nach „a serious matter“ aus: es wird deutlich steiler, dafür scheinen die Bolts in beruhigenden Abständen zu stecken. Doch Schein ist nicht Sein: auf den ersten 10m hat es nur gerade 2 gebohrte Sanduhren, immerhin mit noch recht frischen Schlingen. Danach steilt sich die Sache noch mehr auf, und es folgen noch 4 Bohrhaken.

Toller Blick auf SL 4 (7a)
Die Kletterei ist dabei wirklich formidabel: grossgriffig, ausdauernd, mit dem einen oder anderen kniffligen Boulder eingemixt. Durchaus vergleichbar mit den zentralen Längen der Patent Ochsner. Die Felsqualität ist hier vielleicht leicht minder, wahrscheinlich liegt es einfach daran, dass es hier noch ganz und gar nicht abgeklettert ist. Der Ausstieg zum Stand an Slopern ist dann auch nochmals fordernd. Nach 25m kommt dann der Stand, wir schätzen diese Länge auf ca. 6c+/7a. Und schade, dass ich unterwegs mal kurz falsch abgebogen bin, und deshalb eine schöpferische Pause einlegen musste, das wäre onsight machbar gewesen.

Steil, griffig und luftig: Jonas folgt in SL 4 (7a)
Danach ist’s mit dem attraktiven Gelände fürs erste mal vorbei, einem Fixseil entlang steigt man nach nichttrivialem Felswulst über Schrofengelände hoch bis zu einem Bolt nach 40m. Dort nachnehmen, dann weitere 40m dem Fixseil entlang, nach links in die Verschneidung abbiegend, auf den Pfeilerkopf. Von dort dann ein 25m-Horizontalquergang nach links, immer noch das (fast aufgelöste) Seil verfolgend, zur Fortsetzung der eigentlichen Kletterei.

Offenbar gibt es hier 2 Varianten. Eher links haltend hoch, und eher rechts haltend hoch. Der Fels sieht bei beiden prima aus. Und da wir keine Ahnung haben, wie schwer das alles ist, wählen wir die rechte Variante. Die sieht etwas zugänglicher aus, ausserdem stecken auf den überblickbaren 15m zwei, und nicht nur ein BH wie links. Über die 2 Bolts hinweg entpuppt es sich dann sogar leichtverdaulich, die Sorgen beginnen der folgenden, gebohrten Sanduhr, ausgestattet mit vermoderter Schlinge aus alten Zeiten. Von dieser steigt man 4m weiter, und der nächste Bolt steckt über einem abdrängenden Wulst. Ihn anzuklettern ist unangenehm.

Toller Fels, tolle Kletterei: Start in die rechte Variante von SL 8 (6b+)
Es reduziert sich zu reibungslastig hochstehen, dann am Bauch weit hochgreifen und hoffen, dass ein unsichtbarer, gut haltbarer Griff kommt. Falls nein, so kann es durchaus zum Abflug kommen. Ich bin 4m über der vermoderten Schlinge, die ist nochmals 3-4m über dem Bolt und ich bin geschätzte 15m über dem Boden/Band, das wir gequert haben.

Bei einem Sturz und dem nicht unwahrscheinlichen Versagen der Schlinge wird es also knapp. Wenn ich mein Leben nicht der Schlinge anvertrauen will, so muss dieser nicht recht abzuschätzende Kletterzug mit 100%iger Sicherheit gelingen. Und so stelle ich mir das nicht wirklich vor, solch unmittelbare Gefahr für Leib und Leben im Grad 6a+/6b, nein danke. Mangels Alternativen bleibt aber nur die Vorwärts-Strategie, und tatsächlich hat es oben am Wulst natürlich einen guten Griff.

Anspruchsvolle Plattenkletterei in SL 8 (6b+)
Nach dem Bolt dann die klettertechnische Crux (ca. 6b+) an einem Sloperloch, dann über eine zunehmend glatte Platte, an einem weiteren BH vorbei zum Stand. Am Schluss nochmals eine zwingende Stelle, wo man erst sehr gut hinstehen muss, um eine fragile Schuppe anzuteasen, um schliesslich möglichst sanft an ihr zu dülfern. Und zuletzt dann noch ein sehr unangenehmer Schritt an den Stand, auch schon wieder 4-5m über dem Bolt.

Na ja, während im unteren Teil die Absicherung durchaus noch als gut, aber (wie immer an den Wenden) anspruchsvoll bezeichnet werden konnte, war es hier definitiv haarig. Der richtige alte Wenden-Style des Erschliesserduos Lechner/Pitelka, mit äusserst spärlichen Bolts und gebohrten Sanduhren mit Schnüren in erbärmlichen Zustand.

Anspruchsvolles Finish von SL 8, die anzuhechtende Schuppe ist ziemlich fragil.
Auch die nächste Länge sieht felsmässig top aus, allerdings ist auch die Absicherung brutal weit. Jonas geht los, bläst aber bald zum Rückzug. Die Reihe ist an mir, und mein Problem ist dasselbe: zur ersten Sicherung (dem BH) sind es vom Stand ca. 8m. Nach 5m kommt eine heikle Stelle, hoch antreten auf Reibung, an Sloper-Rauhigkeiten aufrichten und dann? Entweder kommt dort, wo es nach nichts aussieht, ein haltbarer Griff, und sonst wird es dann rasch prekär.

Es droht ein unkontrollierter Abflug mit 10m-Faktor 2-Sturz, in den Stand. Immerhin verfehlt man den Sicherungspartner mit Garantie. Aber insgesamt nö danke, das ist jetzt wirklich echt gefährlich, d.h. massive Verletzungsgefahr und die Wahrscheinlichkeit eines Sturzes ist ganz deutlich da. Objektiv gesehen ist’s zwar wohl auch „nur“ im 6a+/6b-Bereich, doch auch ich klettere wieder ab. Damit ist der Rückzug beschlossene Sache: Good Bye!

Start in SL 9, in diesem Stil geht's 8m bis zur ersten Sicherung (BH), und es wird noch schwerer!
„Muggenstutz“ oder „No Name“?

Am Einstieg checken wir dann mit einem Blick auf den im SAC-Heft publizierten Bericht langsam den Puck: wir sind gar nicht die „Muggenstutz“ geklettert. Wir waren zwar in der Tour, die wir angepeilt hatten, und die uns als ebendiese „Muggenstutz“ verkauft wurde. Aber sie war es nicht, sondern es war die Nr. 2, „No Name“.

Somit sind wir über die erste SL von „Muggenstutz“, und nicht über jene von „Zyklopenauge“ eingestiegen. Das erklärt auch, dass es sich einfacher anfühlte als die angegebene 6a im Topo. Und die Tour, die nach dem ersten Stand gerade weitergeführt hätte, das wäre die echte „Muggenstutz“ gewesen. Wie schwer die aber ist: keine Ahnung!

Der gewaltige Überhang an der Basis des Mähren: hier führt "Eiserner Vorhang" (7c+) hoch.
Trostpflaster „AHV“

Nun denn, wir machen uns an den exponierten Abstieg aus dem Kessel. Beim Aufstieg kam uns das super haarig vor, irgendwie ist der Abstieg aber doch nur halb so schlimm. Auch recht. Inzwischen ist die Idee aufgekeimt, noch die Pitelka-Tour mit der Nr. 13 und dem sinnigen Namen „AHV“ zu probieren. Diese führt auf einen vorgelagerten Pfeiler (nennen wir ihn doch „Geriatrie-Pfeiler“) und sieht vom Einstieg aus beurteilt gut gängig aus.

Tolle Kletterei in SL 2 von AHV (6b)
Ist sie dann auch: in 2 langen Seillängen (55m, 6a und 45m, 6b/+) führt sie auf diesen Pfeiler. Die Absicherung ist genügend, aber auch nicht gerade üppig. In der zweiten, anhaltenden Länge stecken gerade mal 6 Bolts. Mit Keilen und kleinen Friends kann aber da und dort noch etwas nachgebessert werden. Die Kletterei ist nett: unterhaltsam, nie trivial und durchaus fordernd. Der Fels ist nicht ganz so kompakt wie anderswo an den Wendenstöcken, aber doch von guter, fester Qualität – gut vergleichbar mit den Touren am Vorbau des Reissend Nollen. Mit einer stilreinen Onsight-Begehung erreichen wir das Top, und können so doch noch einen Erfolg feiern am heutigen Tag.

Rückblick und Fazit

Für mich waren das die Wendenrouten Nr. 20 und Nr. 21, und zugleich der erste Besuch am Mähren. Dieser ist tatsächlich deutlich wilder als die anderen Sektoren, und auch seltener besucht. Wen wundert’s, sich doch etliche Routen gar nie publiziert worden, und auch sind fast alle sehr anspruchsvoll, was Absicherung und Schwierigkeit der Kletterei angeht.

Jonas auf den letzten Metern der "AHV"
Unserem Bailout aus der „No Name“ haftet für mich ein etwas schaler Nachgeschmack an. OK, scheitern gehört zum Klettern und ist natürlich immer etwas frustrierend. Wenn das Scheitern mangels Kletterkönnen oder mangels psychischer Stärke passiert, so ist wenigstens klar, wo und wie man sich verbessern soll. D.h., es kann einen auch stark machen. Hier hat es aber nicht an diesen beiden Parametern gefehlt, sondern an der Risikobereitschaft. Diese Einstellgrösse will ich nicht verändern – somit bestehen für mich eigentlich keine weiteren Möglichkeiten, was die „No Name“ und weitere Routen in ähnlichem Stil am Mähren betrifft...

Facts

Wendenstöcke – Mähren – No Name 7a+ (6b+ obl.) – Lechner/Pitelka 1990 – 11 SL, 350m - ***, xx
Material: 10 Express, 2x50m-Seile, Camalots 0.3-2, Cliff, Messer, Seilstücke für Sanduhren, evtl. Tibloc für Fixseil.

Die „No Name“ bietet über weite Strecken tolle Kletterei in prima Wendengestein. Die Fixseilpassagen bzw. die Schrofenzonen sind wendenuntypisch, sind aber durchaus zu verkraften. Während die steilen, athletischen Passagen im unteren Teil gut abgesichert sind, warten oben dann weite Sicherungsabstände über den windigen, gebohrten Sanduhren, die eine gewisse Unerschrockenheit und Risikobereitschaft erfordern.

Topo der No Name am Mähren

Wendenstöcke – Mähren – AHV 6b (6b obl.) – Michal Pitelka – 2 SL, 100m - **, xxx
Material: 12 Express, 2x60m-Seile, Keile, Camalots 0.3-0.5

Es handelt sich um eine durchaus lohnende Kurztour in gutem Fels. Natürlich entbehrt sie mit ihren 2 Seillängen am Fuss einer 700m-Wand vielerlei Logik, und kaum jemand wird den weiten Zustieg für eine solch kurze Kletterei in Kauf nehmen. Als Dessert oder Trostpflaster ist sie aber auf jeden Fall empfehlenswert. Die Absicherung ist trotz einigen Runouts vernünftig, v.a. in der zweiten Seillänge muss aber zwingend mobil ergänzt werden.

Topo der AHV am Mähren


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